Burnout haben wir, wenn wir zuviel arbeiten - so eine gängige Vorstellung. Doch warum bekommen wir einen Boreout, wenn wir arbeiten, was uns langweilt? Warum sind die Symptome so ähnlich. Ein Burnout hängt weniger mit dem Zuviel und Zuwenig, als vielmehr von Erwartungen ab, von unseren eigenen und von denen unseres Umfelds. Letztlich heißt Burnout häufig: Mangelnde Anerkennung.
Einen Burnout muss man gehabt haben. Ein Burnout veredelt das Leben. Ein Burnout zeigt, dass man wirklich, dass man intensiv lebt. Ein Leben ohne Burnout ist kein richtiges Leben. - Das scheint uns der Satz sagen zu wollen. Der Burnout wird zum Indikator dafür, leidenschaftlich gelebt zu haben. Leidenschaft ist, was Leiden schafft (frei nach Grillparzer).
Diese Einstellung ist unter Klienten mit Burnout - und solchen, die es werden wollen - tatsächlich verbreitet. Und vielleicht lächeln auch Sie, lieber Leserin oder lieber Leser, bei diesem Satz und denken sich, dass vielleicht doch ein bisschen etwas dran sei. Wenn man etwas tut, das Anspruch hat, das wichtig ist, dann ist das auch fordernd. Da gehört es dazu, wenn man hin und wieder seine Grenzen überschreitet. So ist eben das Leben. Wo gehobelt wird, da fallen Späne.
Doch – dass ist die nächste Frage – darf man das im Kontext eines Psycho-Blogs auch zugeben. Zumindest ich, als Autor dieses Blogs, müsste vermutlich darauf hinweisen, dass man durchaus leidenschaftlich leben kann, ohne im Burnout zu enden. Dann sollte ich vermutlich etwas über Achtsamkeit schreiben, über Work-Life-Balance, über Selbstfürsorge. Sollte ich nicht mahnend den Finger heben?
Moral hilft meist nicht weiter
Doch, wie die Dinge nun einmal stehen, bin ich kein großer Freund moralischer Appelle. Denn zum einen sind moralische Appelle meist nicht recht hilfreich. In der Regel führen sie vor allem zu Verdruss bei allen Beteiligten. Zudem habe ich mühsam lernen müssen, dass ich üblicherweise nicht besser weiß, was anderen Menschen gut tut. Selbst bei den einfachsten und offensichtlichsten Dingen gibt es immer wieder Fälle, in denen ich daneben liege und mich darüber wundere, welche kreativen und individuellen Arten zu leben die Menschen entwickelt haben. So werden Sie von mir (hoffentlich) nie den Appell hören, mehr für sich zu sorgen, weniger zu arbeiten oder dergleichen. Wenn sie zu viel arbeiten, dann wissen sie das in der Regel selbst. Wenn nicht, dann hilft auch der Appell nicht, da der Appell zu mehr Achtsamkeit und Selbstfürsorge nur noch eine Schippe drauf legt: Neben den Anforderungen von Chef, Kindern, Partnern und Co. muss man sich nun auch noch um das eigene Wohlbefinden kümmern.
Wie?, möchte man nun vielleicht ausrufen, ist dieser Psychologe etwa wirklich der Meinung, dass es völlig in Ordnung ist, wenn man sich totarbeitet? Ist er etwa der Meinung, dass sich seine Klienten ruhig in den Burnout manövrieren sollen, in dem Glauben, dass dies notwendig ist, wenn man für etwas brennt?
Nun, ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, was 'man muss'. "Man war's und keiner ist's gewesen" - so oder ähnlich schreibt Heidegger ganz treffend. Weder kann ich allgemeingültig sagen, wie 'man' für etwas brennt und ob dieses 'Brennen' notwendig zum Burnout führt. Auch bewahrt die Abwesenheit des intensiven Brennens nicht unbedingt vor einem Burnout. Man muss nicht unbedingt spektakulär abfackeln. Auch ein leichtes Glimmen führt dazu, dass irgendwann nichts mehr da ist: Irgendwann ist selbst beim müdesten Glühen Schluss. Dann spricht dann gemeinhin von Boreout. Wir können uns ebenso totlangweilen wie totarbeiten. Und ein Boreout ist kein Stück besser und die Symptomatik ist auch dieselbe. Vielleicht ist er sogar noch schlimmer. Denn man hat keinen ordentlichen Grund, sich zu fühlen, wie man sich fühlt. ‘Wer keinen Boreout hatte, der hat sich noch nie so richtig gelangweilt‘ – klingt nicht wirklich schmissig.
Ja aber, könnte man [sic!] jetzt einwenden, damit spricht doch tatsächlich alles für ein angemessenes und ausgeglichenes Leben. Sind wir da nicht wieder bei Work-Life-Balance, bei Achtsamkeit und Selbstfürsorge? Hier lautet die Antwort ausnahmsweise einmal klar ‚Nein‘. Denn weder löst man das Problem einer unerträglichen Arbeit mit ein paar Stunden weniger davon. Noch wird eine übermäßig langweilige Arbeit dadurch besser, dass man am Wochenende paddeln geht. Wenn man also nicht in die oben genannte Problematik schlittert, Selbstfürsorge als eine weitere Aufgabe zu begreifen, um die man sich kümmern muss, sondern tatsächlich abschaltet, kann das zu einem anderen Problem führen. Selbstfürsorge und Achtsamkeit können hervorragend dabei helfen, das eigentliche Problem aufrecht zu erhalten, indem sie dabei helfen, die unerträgliche Situation zu ertragen. Das ist ein bisschen so, als würde man am Meer eine Sandburg reparieren, an der die Flut zu nagen beginnt.
Zuviel führt nicht zum Burnout
Wenn Leidenschaftslosigkeit wie auch die Leidenschaft dasselbe Problem zeitigen können, legt der Verdacht nahe, dass es weder um das eine noch um das andere geht. Tatsächlich ist die depressive Symptomatik, die sowohl im Fall von Burn- wie auch im Fall von Boreout entsteht, häufig das Resultat von Gratifikationsdefiziten. Das Problem ist nicht, das wir für etwas brennen. Das Problem ist, dass niemand sieht, dass wir für etwas brennen oder dass wir etwas erwarten, das wir nicht leistbar können. Wir setzen uns ein, gehen in Vorleistung, ackern uns ab und es kommt nichts zurück. Wir stecken unsere Ziele so hoch, dass wir sie nicht erreichen können
Ähnlich verhält es sich mit dem Boreout: Wir sitzen und warten und hoffen, dass doch bitte irgendjemand unserer Potential erkennt und uns eine angemessene Tätigkeit gibt. Doch das geschieht nicht. Innerer Anspruch auf Wirksamkeit und soziales Umfeld kommen nicht in Deckung.
Nun mag man sich sagen, dass die Anerkennung der Anderen gar nicht so wichtig ist. Man macht es schließlich für die Sache. Die Sache mit der Anerkennung hat jedoch wenig mit Eitelkeit zu tun. Sie hat etwas damit zu tun, dass wir soziale Wesen sind und dass unsere Existenz nur Sinn hat, wenn sie einen sozialen Bezug hat. Wenn wir keine Anerkennung erfahren, heißt das, dass unsere Tätigkeit in der Gruppe überflüssig ist. Es heißt, dass wir überflüssig sind. Burn- und Boreout sind also eine existentielle Sinnkrise. Beide bedeuten, dass es uns unter gegebenen Bedingungen nicht möglich ist, sinnhafte Wirksamkeit zu entfalten.
Diese Krise beginnt jedoch noch nicht mit dem Mangel an Anerkennung - ob nun durch andere oder durch uns selbst. Sie beginnt dann, wenn wir diesen spüren, jedoch nichts an der Situation ändern. Sie beginnt, wenn wir weitermachen – in der Hoffnung, dass es irgendwann besser wird. Diese Hoffnung begründen wir gut. Wir sagen uns, dass wir es noch nicht hart genug versucht haben, noch nicht lange genug gewartet haben. Wir sagen uns, dass die Kontextfaktoren die falschen waren oder dass die beteiligten Personen sich ändern werden. Der schwedische Soziologe Nils Brunsson (2006) spricht von Mechanismen der Hoffnung. Diese Mechanismen hindern uns daran, das eigentliche Problem anzugehen.
Lasst alle Hoffnung fahren
Burn- und Boreout fordern uns also auf, erst einmal alle Hoffnung fahren zu lassen. Gehen wir einmal davon aus, dass sich nichts von selbst ändert, dass alles so weitergeht wie bisher. Wo stehen wir dann?
Das Resultat dieser Betrachtung kann individuell sehr verschieden sein. Vielleicht stellen wir fest, dass wir etwas grundsätzlich ändern müssen. Vielleicht stellen wir fest, dass wir uns eine neue Umwelt suchen müssen. Vielleicht liegt das Problem bei den Erwartungen, die wir an uns stellen. Denn Gratifikationsprobleme treten auch dann auf, wenn wir Anerkennung nicht sehen und nicht annehmen können und/oder, wenn wir es nicht ertragen, nicht ständig von ihr überschüttet zu werden. Wir ackern uns ab, weil wir der Meinung sind, der nächste Elon Musk zu sein (der vermutlich auch unter Gratifikationsdefiziten leidet).
Burn- oder Boreout heißt jedoch nicht notwendig, dass mit uns etwas nicht stimmt. Vielleicht haben wir uns einfach in eine dumme Situation begeben und es nicht gemerkt. Vielleicht hat sich die Situation auch einfach nur Stück für Stück verschlechtert und wir haben es nicht gemerkt. Das passiert häufiger, als man denkt. Stellen wir jedoch fest, dass wir in der falschen Umwelt sind, sollten wir uns auch die Frage stellen, wie wir in diese Situation gekommen sind. Nur so können wir verhindern, dass es uns nochmal passiert.
Abwägen lernen
Vielleicht stellen wir aber auch fest, dass das, was wir als Problem gesehen haben, gar nicht so groß ist, dass es sich tatsächlich um etwas vorübergehendes handelt. Nicht jede Frustration im Job, nicht alle Erschöpfung ist gleich Burnout oder Boreout. Vielleicht sind wir bereit, eine zeitweise Überlastung in Kauf zu nehmen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Solange wir uns bezüglich des angestrebten Ziels nichts vormachen (es sich nicht um einen Mechanismus der Hoffnung handelt), ist auch das durchaus sinnvoll.
Jede und jeder von uns hat begrenzte Ressourcen. Wir alle haben sehr unterschiedliche Belastungsgrenzen und finden sehr unterschiedliche Dinge belastend. Gemeinsam ist uns jedoch das Bedürfnis nach Anerkennung unserer Person und unseres Tuns. Insofern lässt sich sagen, dass wer für und mit anderen brennt, wer gesehen wird, in dem, was er tut und dessen Tun mit den eigenen Ansprüchen in Einklang steht, nur wenig Risiko läuft im Burnout zu enden - wenn die eigenen Ansprüche mit der Wirklichkeit kompatibel sind. Wem hingegen die Anerkennung der Umwelt (und auch durch sich selbst) fehlt, wer keine Selbstwirksamkeit findet oder schädliche Selbstansprüche kultiviert, läuft mit hoher Wahrscheinlichkeit in Burn- oder Boreout - auch ganz ohne jegliches Brennen.
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