Manchmal scheint es in der Psychologie sinnvoll zu sein, den Menschen als Werkstück zu betrachten. Das legt zumindest die Karriere des Begriffs Resilienz nahe. Der aus den Ingenieurwissenschaften stammende Begriff beschreibt die Eigenschaft von Werkstoffen, nach einer Belastung (engl. Stress) ohne bleibende Schäden oder Verformungen in ihre ursprüngliche Form zurückzukehren. Beim Bau von Brücken, Flugzeugen oder Maschinen ist die Resilienz des Materials zu berücksichtigen.
Übertragen auf den Menschen heißt das: Resilient ist, wer sich trotz widriger Bedingungen nicht verformt. Resiliente Menschen sind also verletzlich (sie verformen sich unter Belastung), finden aber ihren Weg zurück.
Resilienz bezeichnet also eher eine Form der psychischen Elastizität als eine unerschütterliche Unbeweglichkeit. Resiliente Menschen gehen mit ihrer Umwelt, lassen sich von ihr aber nicht dauerhaft deformieren, verbiegen oder brechen. Die Metapher ist eher die einer Weide im Sturm denn das Bild eines Felsen in der Brandung: Der Wind schüttelt sie hin und her, vielleicht verliert sie ein paar Äste. Aber das Wurzelwerk hält. Nach dem Sturm richtet man sich wieder auf und die Äste wachsen nach.
Resilienz als Eigenschaft?
Resilienz als Eigenschaft von Menschen wird traditionell vor allem auf angeborene individuelle Faktoren sowie auf das soziale Umfeld in der Kindheit zurückgeführt (Holtz, 2017). Die Wahrscheinlichkeit für eine resiliente Persönlichkeit steigt unter anderem, wenn sich Menschen als selbstwirksam, achtsam und optimistisch erleben und über eine hohe soziale Kompetenz verfügen. Auch familiäre Faktoren wie stabile Bezugspersonen in der Kindheit, ein geteiltes Sinnerleben und ein unterstützendes Familienklima begünstigen die Entwicklung resilienter Persönlichkeiten. Biologie und Epigenetik spielen ebenfalls eine Rolle (Wu et al., 2013).
Dieses Materialbild des Menschen als ‚flexibel, aber stark‘ ist von verschiedenen Seiten kritisiert worden. Eine Überbetonung der Resilienz, so ein Argument, verliere den Kontext aus den Augen und überfordere das Individuum. Der - oder die - ist resilient, der hält das schon aus, könnte man sagen. Nur immer feste druff! Wer von Resilienz spricht, verliert die Umweltbedingungen aus dem Blick - so die Kritik – und erwartet Anpassung vom Individuum, wenn die Umwelt sich anpassen müsste.
Außerdem sei der Mensch eben kein Material, dessen Eigenschaften in der Kindheit und durch individuelle Veranlagungen einmal geprägt und dann fixiert werden. So lautet ein weiterer Kritikpunkt. Resilienz als eine mehr oder weniger angeborene und in frühen Lebensjahren endgültig erworbene Eigenschaft zu verstehen, greift daher zu kurz (Welter-Enderlin, 2005). Menschen entwickeln sich lebenslang in Interaktion mit ihrer Umwelt und ihre Resilienz verändert sich im Laufe des Lebens (Herrman et al., 2011). Das unterscheidet lebende Systeme von Dingen. Und in Coaching und Psychotherapie haben wir es mit ersteren zu tun, nicht mit letzteren. Menschen sind keine Materialien im ingenieurwissenschaftlichen Sinne. Entsprechend ist gerade der letzte Punkt hier relevant.
Resilienz als Tun
Wenn wir uns die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Resilienz vor Augen führen, stellen wir fest, dass es sich um einen Prozess handelt. Resilire [lat.] bedeutet zurückspringen oder abprallen. Resilienz bezeichnet also die Fähigkeit, sich nach einer äußeren Einwirkung zu verformen und anschließend wieder in die ursprüngliche Form zurückzukehren. Dabei prallt der Stressor ab oder man nimmt wieder die ursprüngliche Haltung ein. Resilienz zeigt sich also darin, dass man sich auf eine bestimmte Art und Weise verhält. Resilienz ist Tun - oder zumindest Geschehen.
Damit bewegen wir uns auf der Ebene des konkreten Verhaltens - und damit im Bereich des Lernens und des Lernbaren. So wie wir lernen können, einen Ball im Spiel zu fangen und zu werfen, können wir lernen, Belastungen aufzunehmen und wieder abzugeben.
Resilienz ist eine „erlernbare Fähigkeit, mit deren Hilfe wir aus einer als festgefahren erlebten Situation wieder in Bewegung kommen“ (Lang, 2024). Lernen kann man nicht aus Holz, Metall, Beton oder einem anderen Material.
Doch Resilienz zu lernen ist leichter gesagt als getan - gerade dann, wenn die Probleme übermächtig erscheinen und wir das Gefühl haben, nichts tun zu können. Gerade dann, wenn wir Resilienz brauchen, fehlt sie uns. Wir verhalten uns wie das Reh, das gebannt in die Scheinwerfer des herannahenden Autos starrt - in der Annahme, wenn es sich nicht bewegt, wird es vom Raubtier nicht gesehen (Freeze-Reflex). Wir arbeiten wie verrückt weiter, weil wir glauben, dass mehr vom Gleichen hilft. Wir ändern nichts, weil wir glauben, dass irgendwann schon etwas passieren wird. Wir kultivieren Hoffnungsmechanismen (Brunsson, 2006): Wenn erst Person X kommt, wenn Y passiert, wenn wir Z nur oft genug wiederholen - dann wird sich alles ändern. Wir ändern nichts und damit bleibt das Problem bestehen. Dabei bräuchte es nur eine kleine Bewegung, um einen produktiven Prozess in Gang zu setzen. Das Reh müsste nur den Blick vom Scheinwerfer abwenden und das tun, was es immer tut: laufen. Lernen müsste es entsprechend, eine situative Blockade durch Affekte zu regulieren. Den Rest kann es schon.
Neu- und Umlernen in Abhängigkeit vom Kontext.
Aber das kann man lernen. Resilienztrainings können ein guter erster Schritt sein, um die Elastizität zu erlernen, die resilientes Handeln (und auch Fühlen und Erleben) möglich macht. Einzelne Techniken wie Dankbarkeitstagebücher können dabei helfen.
Letztlich ist Resilienz aber eine sehr individuelle Fähigkeit, die nicht nur von individuellen Fähigkeiten abhängt. Auch Kontextfaktoren spielen eine wichtige Rolle (Herrman et al., 2011). Nicht zuletzt ist Resilienz häufig etwas, das nicht neu erlernt werden muss, sondern etwas, das wir in bestimmten Situationen haben (oder hatten) und in anderen nicht (mehr). Standardisierte Trainings stoßen daher schnell an ihre Grenzen. Gerade weil es beim resilienten Handeln um individuelle Bewegungsmöglichkeiten in individuellen Kontexten geht, kann die Stärkung von Resilienz nur ein individueller Prozess sein. Eine Übung zur Verbesserung des Ballgefühls im Fußball mag zwar unsere Beweglichkeit erhöhen. Sie hilft uns aber nicht weiter, wenn unser Problem etwas mit Bergsteigen oder Segeln zu tun hat.
Was das im Einzelfall bedeutet, kann sehr unterschiedlich sein. Vielleicht geht es darum, sich an das Selbstvertrauen zu erinnern, das man einmal hatte. Vielleicht gilt es, den Humor zu mobilisieren, der in der einen Situation fehlt, in einer anderen aber vorhanden ist. Vielleicht hilft es, sich aus einer möglichen Zukunft heraus neu zu entdecken oder zu erleben, dass die Gegenwart nicht so eindeutig ist, wie sie scheint. Resilienz lernen heißt, Bewegungsmöglichkeiten zu erfahren und einzuüben. Resilienz lernen heißt, an sich selbst zu arbeiten - das kann uns kein Training, kein Coach und kein Therapeut abnehmen.
Wie werde ich resilienter?
Vielleicht ist die Idee des Werkstücks gar nicht so falsch. Aber es geht nicht darum, feste Eigenschaften im Material zu sehen, sondern das Potenzial im Rohling zu entdecken. Wenn ein Bildhauer auf einen Marmorblock schaut, darf er nicht nur den Marmorblock sehen, sondern eine Vielzahl alternativer Möglichkeiten. Dasselbe gilt für unser eigenes Leben. Wenn wir das Gefühl haben, in eine Sackgasse geraten zu sein, kommen wir nur wieder heraus, wenn wir etwas anderes als eine Sackgasse sehen. Resilienz entsteht, wenn wir unsere Wahrnehmung und unser Erleben einer Situation verändern, wenn wir Möglichkeiten sehen, wo vorher Unmöglichkeiten waren, wenn wir in der Schwäche Stärke spüren und im scheinbar Unlösbaren eine Lösung erkennen.
Resilienz lernen wir, wenn wir lernen, unsere Wahrnehmung kontextbezogen zu verschieben. Das beginnt mit dem Wechsel von der Problem- zur Lösungsorientierung. Wenn eine Situation ausweglos erscheint, liegt das oft daran, dass wir uns die Frage nach der Perspektive gar nicht stellen. Die Lösung kommt nicht in den Blick, weil wir uns wie das Reh im Scheinwerferlicht vom Problem hypnotisieren lassen. Wenn wir aber den Blick vom Problem abwenden und uns fragen, wie die Welt aussähe, wenn das Problem gelöst wäre, gewinnen wir Handlungsspielraum. Aus der Perspektive einer problemfreien Zukunft ergeben sich mögliche Wege, die wir aus der problematischen Gegenwart nicht sehen.
Es ist wichtig, nicht nur auf der kognitiven Ebene zu bleiben. Problemerfahrung ist vor allem Erfahrung. Dementsprechend gewinnen wir Resilienz, wenn wir eine andere Erfahrung machen. Dieses Erleben kann durch Veränderung in konkreten Situationen, aber auch durch evokative Techniken in Beratung und Therapie erzeugt werden. Gelingt es, konkret in das Erleben einer Lösung zu gleiten, verändert sich die Wahrnehmung der Situation grundlegend.
Resilienz ist erlernbare Flexibilität im Denken, Handeln und Erleben
Zweifellos gibt es Menschen, die resilenter sind als andere - sei es, weil sie über bestimmte angeborene Eigenschaften verfügen, sei es, weil sie in ihrem bisherigen Leben auf andere Ressourcen zurückgreifen konnten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht resilienter gegenüber den Widrigkeiten des Lebens werden können (und es heißt auch nicht, dass wir alles hinnehmen müssen, was uns widerfährt). Resilienz ist trainierbar. Denn letztlich ist sie die Fähigkeit, in einer Situation, in der wir uns von einem bestimmten Problem hypnotisieren lassen, wieder neue Möglichkeiten im eigenen Erleben zuzulassen. Wenn wir neues und vielleicht auch aus anderen Situationen bekanntes positives Erleben aktivieren, gewinnen wir Bewegungsfreiheit. Diese steht in direktem Zusammenhang mit Resilienz. Denn Bewegungsfreiheit im Erleben ermöglicht es uns, nach einer Belastung wieder unbeschadet in den Ausgangszustand zurückzukehren.
Literatur
Brunsson, N. (2006). Mechanisms of Hope. Copenhagen Business School Press.
Herrman, H., Stewart, D. E., Diaz-Granados, N., Berger, E. L., Jackson, B., & Yuen, T. (2011). What is Resilience? The Canadian Journal of Psychiatry, 56(5), 258–265. https://doi.org/10.1177/070674371105600504
Holtz, K. L. (2017). Resilienz und die Strategien Milton Ericksons: Wie passt das zusammen? In D. Short & C. Weinspach, Hoffnung und Resilienz: Therapeutische Strategien von Milton H. Erickson (Dritte Auflage, S. 27–38). Carl-Auer-Systeme Verlag.
Lang, A. (2024). Resilienz hat man nicht—Man stellt sie immer wieder her. MEGaPhon, 57. https://megaphon.meg-hypnose.de/resilienz-hat-man-nicht-man-stellt-sie-immer-wieder-her/
Tomm, K. (1987a). Interventive Interviewing: Part I. Strategizing as a Fourth Guideline for the Therapist. Family Process, 26(2), 3–13. https://doi.org/10.1111/j.1545-5300.1987.00167.x
Tomm, K. (1987b). Interventive Interviewing: Part II. Reflexive Questioning as a Means to Enable Self-Healing. Family Process, 26(2), 167–183. https://doi.org/10.1111/j.1545-5300.1987.00167.x
Welter-Enderlin, R. (2005). Die Zentrierung auf die Kindheit ist falsch. 32(9), 25–27.
Wu, G., Feder, A., Cohen, H., Kim, J. J., Calderon, S., Charney, D. S., & Mathé, A. A. (2013). Understanding resilience. Frontiers in Behavioral Neuroscience, 7. https://doi.org/10.3389/fnbeh.2013.00010
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