„Was genau ist das Schlimmste an ihrem Problem?“ Diese Frage – in der ein oder anderen Abwandlung – ist eine meiner Lieblingsfragen für das Erstgespräch. Auf den ersten Blick mag sie ein wenig banal scheinen, wenig empathisch, vielleicht sogar überflüssig oder gar kontraproduktiv. Depressionen, Ängste, Paarkonflikte – diese Probleme sind schlimm. Sollte man da wirklich noch nach dem Schlimmsten am Schlimmen fragen? Macht es einen großen Unterschied, ob es die Antriebs- oder die Schlaflosigkeit, die kreisenden Gedanken oder Wut sind? Ist das überhaupt zu entscheiden? Relativiere ich damit nicht die anderen Aspekte.
Tatsächlich hilft die Frage nach dem Schlimmsten am Schlimmen, gemeinsam mit ähnlichen Fragen, Struktur zu schaffen. Häufig kommen Klienten mit einer ganzen Wolke an Problemen. Diese zu sortieren und sich einen Punkt zu konzentrieren und, je nach Fall, entweder gleich des Pudels Kern oder ein klar umrissenes, leicht erreichbares Ziel in den Blick zu nehmen, hat sich bewährt. Hat man einmal die Schlaflosigkeit im Griff, die kreisenden Gedanken oder den die immer wieder eskalierenden Paarstreitigkeiten, so löst sich vieles andere von allein. Dominoeffekte treten nicht selten auf. Und wenn sie nicht auftreten, hat man zumindest schon einmal einen Fuß in der Tür und eine positive Dynamik angestoßen.
Probleme sind versuchte Lösungen
Die Frage nach dem Schlimmsten am Schlimmen schätze ich jedoch noch aus einem anderen Grund. Denn wenn sich Klienten einen Moment Zeit nehmen – nicht jedem gelingt das, in der Situation, in der er oder sie ist -, kommt nicht selten eine eher unerwartete Antwort. Das Schlimmste, heißt es dann, sind nicht so sehr die Depression oder die Ängste, gar nicht der Streit selbst. Vielmehr ist es das Gefühl der Hilflosigkeit, des Kontrollverlusts, der Machtlosigkeit, die als wirklich schlimm erlebt werden.
Das Schlimmste am Schlimmen ist häufig nicht ein Symptom wie Angst oder Niedergeschlagenheit. Vielmehr ist es häufig das Problem, das wir mit dem Problem haben oder uns machen. Es ist ein Problem zweiter Ordnung.
Diese Feststellung mag ein wenig spitzfindig klingen. Sie ändert jedoch die Situation häufig grundlegend. Frage ich weiter nach, so zeigen sich häufig Bewältigungsstrategien zweiter Ordnung. Watzlawick und Kollegen (1974) sprechen von versuchten Lösungen: Um der Hilflosigkeit Herr zu werden, starten wir Kontrollversuche. Um unsere morgendlichen Ängste zu bewältigen, bleiben wir im Bett liegen und versuchen, uns zu beruhigen. Wachen wir in der Nacht auf, versuchen wir mit aller Kraft wieder zu schlafen. Um den Streit in der Partnerschaft beizulegen, versuchen wir, unseren Partner zu überzeugen. Um unsere kreisenden Gedanken zu kontrollieren, versuchen wir uns davon zu überzeugen, dass diese unbegründet sind.
Diese Kontrollversuche scheitern jedoch (sonst kämen die Klienten nicht zu mir und sonst wäre der schlimmste Aspekt nicht die Hilflosigkeit). Wachen wir in der Nacht auf und versuchen wir, gegen die Schlaflosigkeit anzukämpfen, finden wir häufig erst recht keinen Schlaf. Versuchen wir, gegen unsere Ängste zu argumentieren, zeigen diese erst recht ihre Kraft. Versuchen wir, die Streiterei in der Partnerschaft zu beenden, indem wir unseren Partner von unserer Meinung zu überzeugen, führt das nur zu noch mehr Streit.
Pathologien als erkenntnistheoretische Fehler
Paul Dell (1982) schreibt, dass es im Wesentlichen zwei Gründe für Pathologien gibt. Den passiven und den aktiven erkenntnistheoretischen Fehler. Der passive liegt dann vor, wenn wir die Realität nicht akzeptieren, wie sie ist. Das betrifft Dinge in unserer Umwelt ebenso wie unsere Gedanken und Körperfunktionen.
Der aktive erkenntnistheoretische Fehler liegt vor, wenn wir versuchen, Kontrolle über andere Menschen auszuüben.
Dell greift damit ein zentrales buddhistisches Motiv auf (ohne das so kenntlich zu machen). Unsere Probleme werden leichter, wenn wir in der Lage sind, die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind. Watzlawick und Kollegen sprechen daher auch einer Lösung zweiter Ordnung. Eine Lösung erster Ordnung bestünde in noch weiteren Kontrollversuchen – der kreisenden Gedanken, der Schlaflosigkeit, der Ängste, des Partners. Diese Versuche machen die Sache häufig nicht besser, sondern schlechter. Vermögen wir es jedoch, die Ängste, Depressionen, die Schlaflosigkeit und den Streit mit dem Partner zu akzeptieren, ist das häufig ein zentraler, wenn nicht der zentrale Schritt zur Besserung. Beobachten wir unsere Ängste und Depressionen aufmerksam, gehen sie zwar nicht weg. Sie verlieren jedoch einen Teil ihrer Dringlichkeit. Akzeptieren wir, dass wir in der Nacht aufwachen, lesen wir ein Buch, statt wieder zu versuchen einzuschlafen, schlafen wir häufig besser und schneller wieder ein.
Akzeptanz löst den schlimmsten Aspekt des Problems. Wenn wir nicht mehr versuchen, das Problem zu bekämpfen, werden wir auch nicht mehr von Gefühlen der Hilflosigkeit und des Kontrollverlusts heimgesucht.
Lösung zweiter Ordnung
Dennoch fällt gerade diese Akzeptanz aus offensichtlichen Gründen schwer. Man begibt sich in ein Coaching oder in eine Therapie, weil man ein Problem loswerden möchte, nicht aber zu akzeptieren. Akzeptanz scheint zunächst widersinnig.
Doch gerade die Akzeptanz ermöglicht den ersten Schritt Richtung Lösung. Denn erst, wenn wir ein Problem in vollem Umfang akzeptieren, können wir es besser verstehen.
Danach ermöglicht uns die Akzeptanz auch, das Problem besser zu verstehen. Symptome wie Ängste oder Depression, Stress und Ärger wollen etwas sagen. Werden sie nicht gehört, so werden sie nur lauter. Hören wir ihre Stimme jedoch und akzeptieren sie, haben wir die Möglichkeit, etwas zu ändern.
Das führt uns zu einer zweiten Ebene der Akzeptanz. Denn das Problem haben wir in der Regel nur, weil es uns schwerfällt, etwas Drittes zu akzeptieren. Die Depression, der Stress, die Ängste, die eskalierenden Konflikte sind die Stimme eines anderen Elements, von dem unser Unbewusstes weiß, das zu akzeptieren uns jedoch schwerfällt. So sind wir vielleicht der Meinung, dass wir alle Probleme auf der Arbeit selbst lösen können und müssen. Uns fällt es schwer, die Begrenztheit unseres Handelns zu akzeptieren. Die Ängste können uns darauf hinweisen. Vielleicht fällt es uns schwer zu akzeptieren, dass unsere Beziehung nicht ist, was wir uns wünschen, und die Depression weist uns darauf hin. Vielleicht vermögen wir uns nicht einzugestehen, dass unser Partner trinkt und wir es nicht ändern können. Deswegen streiten wir uns über Kleinigkeiten.
Akzeptanz ist der erste Schritt zur Änderung
Akzeptanz ist nicht mit Resignation zu verwechseln. Akzeptanz heißt nicht notwendigerweise weiterzumachen wie bisher. Vieles können wir auch ändern. Die Acceptance and Commitment Therapy (Hayes et al., 2012) setzt genau an diesem Punkt an. Schwer fällt uns jedoch häufig zu akzeptieren, was wir ändern können und was nicht. Wenn wir unseren Leistungsansprüchen nicht gerecht werden – wechseln wir den Job oder geben wir die Ansprüche auf? Wenn wir uns eingestehen, dass unsere Beziehung nicht ist, wie wir sie uns wünschen – suchen wir einen neuen Partner? Wenn wir feststellen, dass unser Partner alkoholabhängig ist – nehmen wir das hin oder lassen wir uns scheiden? Unsere versuchte Lösung ist häufig der Versuch, zwei Dinge haben zu wollen, die unvereinbar sind. Akzeptanz heißt, sich einzugestehen, was möglich ist und wo die Grenzen liegen, um dann danach zu handeln.
Unsere Probleme sind also häufig in doppeltem Sinne Resultat der von Dell benannten erkenntnistheoretischen Fehler. Wir akzeptieren nicht, wie die Welt ist und versuchen zu kontrollieren, was wir nicht kontrollieren können. Dann scheitern wir und versuchen in einem Versuch zweiter Ordnung auch noch erfolglos, das Scheitern zu kontrollieren. Der Schritt aus beidem ist die Akzeptanz der Grenzen unserer Möglichkeiten.
Literatur
Dell, P. F. (1982). Beyond Homeostasis: Toward a concept of coherence. Family Process, 21(1), 21–41.
Hayes, S. C., Strosahl, K., & Wilson, K. G. (2012). Acceptance and commitment therapy: The process and practice of mindful change (2. ed). Guilford Press.
Watzlawick, P., Weakland, J. H., & Fisch, R. (1974). Change: Principles of problem formation and problem resolution. W.W. Norton & Co.
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